Am Sonntag ging die 55. Ausgabe der Art Cologne zu Ende – erste, damit älteste und bis heute renommierteste Kunstmesse in Deutschland. Fazit der Galerien: vorsichtig optimistisch. Euphorisiert und millionenschwer gingen die 140 Aussteller, vor der Pandemie waren es 190, nicht nach Hause. 

“Gute Kunst”, sagt der Direktor der Art Cologne, ”ist in meinen Augen etwas, das direkt zu uns spricht und mit wenigen Mitteln viel kommunizieren kann”. Hug steht als Gastgeber und Talkgast auf einem Podium im dritten Stock der Kölnmesse. Er sieht entspannt aus. Lächelt, witzelt. Die pandemie-bedingte Pause der Messe nutzte er zum Umgestalten der Verkaufsschau, erklärt er. Statt langen verschachtelten Gängen gibt es dieses Jahr um ein Quadrat herum angeordnete Stände. Auf dem Teppichboden beschreibt auf jedem der drei Stockwerke eine dicke Bahn in Signalfarbe jenes Quadrat, es dient als Gestaltungsmittel und zur Führung.  Neu sind heuer auch die Flughafen-ähnlichen Kontrollen am Eingang (wegen möglicher Anschläge auf Kunst vonseiten Klimaaktivisten). Ein Überbleibsel des Hygienekonzepts vom letzten Jahr (als nur wenige die Messe besuchen durften) sind die breiten Wege, die 2023 von fünf auf drei Meter schmaler würden. Kritikwürdig, so gibt der Direktor vor Publikum zu, seien die sogenannten Plazas (Bereiche für großformatige Skulpturen), die leider zu groß angelegt seien. Manche Skulpturen wirken dort verloren. Possierlich gar.

Kunst lebt immer von der Präsentation. Auf einer Messe für Arbeiten der Kunst ist die Art des Ausstellens elementar. Sie ist verkaufsentscheidend. Hier geht es nicht ums Durchklicken von Objekten am Bildschirm, wo alles gleich groß ist, ergo handydisplay-klein. Hier kann man die Kunst (und ihre Größe) auf sich unmittelbar wirken lassen. Sie direkt zu sich sprechen lassen, um Hugs Qualitätsmerkmal aufzugreifen.

Ein derart Kunstwerk ist zum Beispiel ein ausgebranntes Polizeiauto unweit der Talk-Lounge. Es steht mit Ruß bedeckt quer in der Messekoje des Neuen Aachener Kunstvereins – und hat bei näherem Betrachten sogar etwas Schönes an sich. Die Schönheit liegt in der Zerstörung: Die glitzernden Scherben, in die die Windschutzscheibe zerbrochen ist (bzw. wurde), erinnern an Zirkonia. Die Motorhaube, deren Farben jetzt von Braun nach Silber über Nuancen dazwischen fließen, besitzt etwas Malerisches. Urheber des Werks ist ein 20-Personen-starkes Künstlerkollektiv mit Namen “Frankfurter Hauptschule”, so erklärt es der junge Mann, der den Stand bewacht. Seit drei Tagen beobachtet Mathis Henne die Reaktionen der Messebesucher: Egal ob jung oder alt, die wenigsten ziehen an dem abgebrannten Auto nur vorbei. “Viele sagen, es sei die spannendste Arbeit auf der Art Cologne”. 

Für 30 000 Euro kann man sie mitnehmen. Samt Video, das an der Wand gegenüber die Reaktionen von Passanten im Frankfurter Bahnhofsviertel im Jahr 2018 auf das Kunstwerk dokumentiert. Die Frankfurter Hauptschule (in Anlehnung an die philosophische Bewegung “Frankfurter Schule”) stehe für fundierte Arbeiten, nutze aber eine humorvolle und krawallige Sprache, so Mathis Henne. Die Aktion des abgebrannten Polizeiautos (Titel “Visionäre Ruine”) war als Protest gegen die Verdrängung von Obdachlosen und Drogensüchtigen aus dem Frankfurter Bahnhofsviertel entstanden. Ein Fake ist das Polizei-Auto dennoch. Dieses Opel-Modell stammt aus einer zeit, als die Polizeiautos in Hessen noch grün waren – nicht blau. 

Es ist dennoch die mit Abstand mutigste Arbeit auf der Messe – gemessen am Groß der Offerte in diesem Jahr. Die meisten Galerien (der Kunstverein ist keine kommerzielle Galerie und der angestrebte Verkauf eine Ausnahme) wollen den Besuchern mit ihren Kojen  Komfortzonen bieten. Nicht verstören, sondern verkaufen. Was, so ie Bilanz, nicht immer gelang: Die wenigsten Aussteller sind von Euphorie erfüllt. Einige Galerien sind gar nicht erst erschienen. Auch deshalb wirkt die Messe luftig. 

Aus Bad Ems gereist ist Aussteller Sebastian Jacobi. Er ist obendrein der Kurator des erstmals in die Art Cologne integrierten Sektors “Art + Object”. Dieser findet Platz auf einem Quadrat im Quadrat und besteht aus Kojen, in denen angewandte Kunst feilgeboten wird. Also Designstücke, Antiquitäten, Möbel, etc. Kurzum: Das, was bei Sammlern neben Kunst die Räume schmückt, aufwertet und mit dem Glanz von großen Gestaltungsideen erfüllt. Jacobi hat seinen Stand in Knallfarben getaucht: die Wände korallenrot und lila gestrichen und, siehe da, auf bemerkenswerte Weise einen “kontemplativen Raum” geschaffen. Dem Geschrei der zeitgenössischen Kunst, zumal auf Messen, wollte er “etwas Ruhiges entgegensetzen”. Dass dies auch mit gewagten Tönen gelingt, hat er bewiesen. Schließlich beschäftigt er sich seit über 20 Jahren mit Farbkonzepten, ist nicht nur Sammler, sondern berät Kunden wie ein Innendesigner.

Die neun Objekte, die er in seiner kontemplativen Koje ausgestellt hat, reichen in der Preisspanne von 1400 (Wandleuchte von Gino Sarfatti, 1959) bis 120 000 Euro (Tisch aus Makassar-Holz von Lilliy Reich und Ludwig Mies van der Rohe, ca. 1930). Letzteren, “Mein Masterpiece”, nennt er den “Urknall des modernen Schreibtisches”.

Auf die Frage, wie das Geschäft für Jacobi bisher, am dritten Messetag, lief, will er nichts beschönigen: Viele Verkäufe könnten sich erst Monate später ergeben. Er vergleicht die Messeteilnahme mit einem Steinwurf, der einen weiten Flug haben kann und nicht flugs zu Einnahmen führt. 

Hervorgegangen ist der “Art + Object-Sektor” aus der Cologne Fine Art, einer Messe, die bis dato außerhalb der Art Cologne stattfand – eigenständig war – aber schwächelte. Es ist dies ein neuer, vielleicht letzter Versuch, sie im Kern zu erhalten. 

Trotz der Rekorde am Kunstmarkt – Anfang November durchbrach die Auktion der Kunstsammlung des 2018 verstorbenen Microsoft-Mitbegründers Paul Allen die Eine-Milliarde-Dollar-Marke (rund eine Milliarde Euro) – müssen Galerien (also der Primärmarkt) ums Überleben ringen. Die Pandemie hat der Szene zwar keinen flächendeckenden Schaden zugeführt: Manche Galerien konnten sogar als Corona-Gewinnler (ähnlich gewisser Einrichtungshäuser) aufgrund des angestauten Geldes im Lockdown mehr als gewöhnlich verkaufen. Einige davon erhielten sogar staatliche Zuschüsse. Doch besteht der Galeriemarkt aus vielen Schichten: “Es gibt die Big Player mit mehreren Dependance, Umsätzen bis zu 100 Millionen Dollar im Jahr und 200 Mitarbeitern”, sagt Daniel Hug, “und es gibt die Galerie als Zwei-Personen-Betrieb, die nur 10 000 im Jahr machen”. Die Vorwürfe, dass die gesamte Branche unfair bezuschusst wurde, schmettert Hug lächelnd ab. Und erntete Applaus. 

Monika Sprüth, die dieses Jahr den Preis der Art Cologne für die Verdienste als Galeristin erhielt, offenbart sogar: Sie würde unter heutigen Umständen keine Galerie eröffnen. Das Geschäft sei hart, der Markt ein pervertierter. Sprüth betreibt vier Standorte und vertritt, inzwischen, Künstlerinnen von hohem Rang und Preisen. Sie hatte zur richtigen Zeit auf das richtige Pferd gesetzt: Auf Kunst von Frauen (u.a. Rosemarie Trockel, Jenny Holzer) und auf die in den Siebzigern und Achtzigern noch marktfrische Foto-Kunst.